Verkürzung der Verjährung und unsichere Aufrechnung: Krankenkassen drohen massive Verluste
Als Rechtsanwaltskanzlei vertreten wir Krankenkassen in Auseinandersetzungen über die stationäre Abrechnung. Gegenwärtig ist eine Situation eingetreten, die für die Krankenkassen erhebliche Gefahren in sich birgt. Der Gesetzgeber plant nach aktuellem Stand der Gesetzgebung im Rahmen der Pflegepersonalstärkungsgesetzes (PpSG) die Verkürzung der Verjährung von Entgelt- und Erstattungsansprüchen aus stationärer Behandlung von vier auf zwei Jahre.
Auch in der Presse führte die Gesetzgebungsintiative zu massiver Kritik.
Verkürzung der Verjährung auf zwei Jahre
Die Verkürzung der Verjährung auf zwei Jahre ist für sich genommen bereits sehr problematisch. Die Krankenkassen müssen in kurzer Zeit das MDK-Prüfverfahren durchführen. Sie müssen Forderungen anmelden und einforderen, ggf. auch durchsetzen. Hierfür steht nach der PrüfvV das Mittel der Aufrechnung zur Verfügung.
Die Bereitschaft zu Gesprächen und Diskussionen, ob nur eine fehlerhafte Abrechnung vorliegt oder nicht, wird durch die Verjährungsverkürzung erheblich zurückgehen. Dies führt – im Zweifel – zu mehr Gerichtsverfahren, vielleicht auch zu einer weiteren Beschleunigung der Prüfverfahren.
Verjährungsverkürzung soll einseitig (nur) für Ansprüche der Krankenkasse gelten, die vor dem 1.1.2019 entstanden sind
Nach den unserer Kanzlei vorliegenden Informationen haben die Beratungen im Deutschen Bundestag u.a. einen Änderungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD hervorgebracht. Dieser sieht vor, dass die Verkürzung der Verjährung für Erstattungsansprüche der Krankenkassen auch für Forderungen gelten soll, die vor dem 1.1.2019 entstanden sind! Wohlbemerkt: nur der Krankenkassen! Für die Forderungen der Krankenhäuser soll diese Rückwirkung nicht gelten.
Diese Gesetzgebung, sollte sie kommen, stellt eine erhebliche einseitige Benachteiligung der Krankenkassen dar. Sie verschärft die bereits bestehenden Schieflagen noch weiter zulasten der Krankenkassen. Denn sie betrifft Auseinandersetzungen auf Gleichordnungsebene. Auch wenn es sich bei Krankenkassen um Teile des Staates handelt, treten sie in diesen Streitigkeiten gerade nicht im Über- und Unterordnungsverhältnis auf.
Das Bundessozialgericht betont immer wieder das auf Dauer angelegte, kooperative und von Treu und Glauben geprägte Verhältnis von Krankenhäusern und Krankenkassen. Nun sieht sich die eine Seite einem massiven Verlust von Ansprüchen gegenüber – in einem Gesetzgebungsverfahren, dessen Inhalte überhaupt erst kurz vor dem Entritt der rückwirkenden Änderung der Verjährungsfrist bekannt werden. Die andere Seite darf (ggf.) zu Unrecht überhöhte Abrechnung behalten. Was ist daran „fair“?
Ob sich Krankenkassen auf Grundrechte berufen können oder nicht: Ein solches Vorgehen ist bar jeder prozessualer Fairness und entbehrt grundlegender Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit. Daher bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber noch im Gesetzgebungsverfahren sein bedenkliches Vorgehen revidiert. Wie es das „Pflegepersonal stärkt“, wenn der Versichertengemeinschaft Millionensummen entgehen, ist unklar und nicht nachvollziehbar.
Unsichere Aufrechnungsmöglichkeit nach der PrüfvV verschärft die Problematik massiv
Die Verkürzung der Verjährung mit Rückwirkung für „alte“ Forderungen der Krankenkassen führt zu einem massiven Folgeproblem. Nach alter Rechtslage vor Geltung der PrüfvV hat das Bundessozialgericht die Möglichkeit der Aufrechnung durch Sammelavis gebilligt. Wie die Aufrechnungsmöglichkeit unter Geltung der PrüfvV vertreten wir die Auffassung, dass keine Verschärfung der Anforderungen an die Aufrechnung vereinbart wurde, sondern nur eine bundesweite Vereinheitlichung.
Im traditionell aufrechnungskritischen Nordrhein-Westfalen hat aber das Landessozialgericht (LSG NRW, Urteil vom 26.4.2018, L 5 KR 593/17) entschieden, dass die Aufrechnung im Wege des Sammelavis (ohne wörtlich genaue Bezeichnung der betroffenen Forderungen) den Vorgaben der PrüfvV nicht entspreche und unwirksam sei. Die Rechtsfrage ist mittlerweile beim Bundesozialgericht anhängig (Az.: B 1 KR 31/18 R).
Man kann nur hoffen, dass das BSG die fatalen Folgen der Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen im Blick hat. Abgesehen davon, dass erhebliche rechtliche Argumente gegen die LSG-Entscheidung sprechen, ist die Kombination mit der einseitig rückwirkenden Verjährungsverkürzung fatal für die Krankenkassen:
- Ist die Aufrechnung unwirksam, ist der Erstattungsanspruch nicht erloschen und besteht noch.
- Er ist aber ggf. verjährt und damit nicht mehr durchsetzbar, wenn der Gesetzgeber die Verjährung rückwirkend für die Forderungen der Krankenkassen verkürzt.
Beispiel: Das Krankenhaus klagt drei Jahre nach Aufrechnung auf Zahlung. Die Aufrechnung stellt sich aus formalen Gründen als unwirksam heraus. Das Krankenhaus wird den Prozess gewinnen, weil die Krankenkasse ihre Forderung wegen der Verjährung nicht mehr durchsetzen kann. Und zwar auch dann, wenn die Abrechnung falsch (d.h. zulasten der Versichertengemeinschaft zu teuer) war.
Krankenkasse müssen reagieren: Ansprüche sichern
Im Interesse der Versichertengemeinschaft müssen die Krankenkassen auf die neue Situation und die bestehende Rechtsunsicherheit reagieren. Es gilt, Forderungen zu sichern:
- Hat die Krankenkasse aufgerechnet (d.h. im Wege des Sammelavis verrechnet bzw. von einer anderen Rechnung abgesetzt) und ist deshalb verklagt worden (also auf Beklagtenseite), sollten prozessuale Maßnahmen zur Sicherung des eigenen Anspruchs vor der Verjährung ergriffen werden. Denn bestätigt das BSG die Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen und führt der Deutsche Bundestag die rückwirkende Verjährungsverkürzung ein, wären unter Umständen schon mit dem 1.1.2019 Ansprüche aus 2015 und 2016 verjährt (zusätzlich zu denjenigen aus 2014).
- Besonders schwierig ist die Lage, wenn die Krankenkasse bereits aufgerechnet hat, aber noch keine Klage gegen die Kasse anhängig ist.
- Hat die Krankenkasse weder aufgerechnet noch ihre Forderung eingeklagt, dürfte die rechtzeitige Klageerhebung für die betroffenen Forderungen der sicherste Weg zur Hemmung der Verjährung sein. Hier sollten Fälle aus 2014, 2015 und 2016 realisiert werden.
Bei den von uns vertretenen Krankenkassen sind wir um möglichst rechtssichere Lösungen bemüht. Selbstverständlich tritt das Problem in ganzer Schärfe nur im Worst-Case-Szenario ein. Nämlich: Das BSG hält die Aufrechnung mittels Sammelavis nach der PrüfvV ebenfalls für unwirksam. Der Gesetzgeber führt die rückwirkende Verjährung zulasten der Krankenkassen ein. Beides ist im Moment noch nicht klar.
Dieser Versuch einer willkürlichen Verjährungsverkürzung per Übergangsgesetz wird in den nächsten 7 Tagen zwangsläufig zu einer Klagewelle vor den #Sozialgerichten führen. Was sagen dazu @Richterbund @RichterbundHess @DrbBerlin @sgleipzig @juristentag https://t.co/Gv8UGbIPSZ
— Roland Engehausen (@R_Engehausen) November 1, 2018
Fazit: einseitige Benachteiligung der Krankenkassen ist rechtsstaatswidrig, prozessual unfair und verlässt das Dogma des Gleichordnungsverhältnisses
Der Gesetzgebungsvorgang macht sprachlos. Wie der Gesetzgeber auf die Idee kommt, Krankenkassen so einseitig zu benachteiligen, ist nicht nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr deshalb, weil sich um Versichertengelder handelt und Krankenhäuser vielfach tatsächlich falsch abgerechnet haben dürften. Den Krankenkassen werden ihre Rückforderungen aus der Hand geschlagen. Besonders gelackmeiert sind Krankenkassen, die entgegenkommend einvernehmliche Lösungen mit den Krankenhäusern gesucht haben — dies dauer eben manchmal.
#Pflegestärkungsgesetz: Unglaubliche Rechtsbeugung des Gesetzgebers vernichtet Mio. € Versichertengelder, belohnt Falschabrechner und übereifrige Kassen- und bestraft Kliniken und Kassen im Dialog! https://t.co/lpStagKSwd
— Martin Spegel (@Martin_Spegel) November 1, 2018
Falsch abrechnende oder unwirtschaftlich behandelnde Krankenhäuser können sich freuen. Ihr Verhalten bleibt ggf. folgenlos. Die Versichertengemeinschaft zahlt im Zweifel „drauf“, weil der Gesetzgeber rechtswidrig überhöhte Forderungen damit zumindest mittelbar legitimiert.
Eine besondere Verschärfung des Problems besteht in der beschriebenen unsicheren Aufrechnung nach der PrüfvV. Das LSG Nordrhein-Westfalen verwirft eine fast bundesweit bestehende jahrelange Geschäftsüblichkeit mit wenigen Worten. Ob der Gesetzgeber dieses Problem sieht, erscheint fraglich. Es steht zu hoffen, dass das Bundessozialgericht mehr Weitblick hat. Denn massenweise unwirksame Aufrechnungen würden die Verluste der Krankenkassen potenzieren.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Krahnert,
dass Sie die Interessen Ihrer Mandanten, d. h. der Krankenkassen, vertreten müssen ist völlig klar.
Trotzdem sollte der Entstehungsprozess des jetzigen Gesetzesentwurfs sachlich dargestellt werden und auf Polemik verzichtet werden.
Aussagen wie dass „Krankenhäuser vielfach tatsächlich falsch abgerechnet haben dürften“ oder „Falsch abrechnende oder unwirtschaftlich behandelnde Krankenhäuser können sich freuen. Ihr Verhalten bleibt ggf. folgenlos.“ sind Polemik oder auf welcher sachlichen Grundlage treffen Sie denn die Aussagen?
Vielmehr ist der Gesetzesentwurf Folge der Rechtsprechung des BSG der letzten Jahre, die selbst unter SG‑, LSG- und ehemaligen BSG-Richtern höchst umstritten sind und u. a. in einem Fall zur Klärung beim Bundesverfassungsgericht liegen.
Unmittelbarer Auslöser des jetzigen Gesetzentwurfes war das BSG-Urteil zur 30 min. Transportentfernung in eine Neurochirurgie bei Behandlung von Patienten in Schlaganfall-Einheiten (Stoke Units). Obwohl das DIMDI eine Klarstellung veröffentlich hat, wurde das Urteil so gefällt, dass nun plötzlich die Entscheidung zur Verlegung incl. Anfahrt des RTW oder Anflug des Rettungshubschraubers mit zur Transportzeit zählt.
Verbunden mit der Möglichkeit der Rückforderung für die Krankenkassen innerhalb der bisher vierjährigen Verjährungsfrist würde das bedeuten, dass insbesondere in den Flächenbundesländern eine große Zahl von mühsam aufgebauten stroke Units schließen müssten und sich damit die medizinische Versorgung der Schlaganfallpatienten verschlechtern würde. Da Sie auch Medizin studiert haben wissen Sie, dass Time brain ist.
Die wenigsten Schlaganfallpatienten brauchen eine Neurochirurgie, die meisten jedoch schnell erreichbare stoke Units.
Und es hat auch nichts mit Falschabrechnung zu tun, wenn durch die neue Definition von Transportentfernung durch das BSG plötzlich Rückforderungen der Krankenkassen gestellt werden. Hätte das BSG die Klarstellung des DIMDI (immerhin eine Einrichtung des Gesundheitsministeriums) ernst genommen, wäre es gar nicht zu dem Gesetzentwurf gekommen. Für 2019 wird der OPS nun nochmals so geändert, dass auch das BSG-Urteil nicht mehr gilt. Und der Gesetzgeber wollte nicht tatenlos zusehen, wie das BSG quasi das DIMDI ad absurdum führt und stoke Units schließen müssen. Deshalb eben nun die neue Gesetzesreglung, dass Klarstellungen des DIMDI Rechtskraft auch rückwirkend haben und die Verjährungsfrist verkürzt wird, damit der Schaden für die bestehenden stroke Units abgemildert wird.
Dass dadurch auch einige falsch abrechnende Krankenhäuser profitieren könnten, ist sicher nicht gänzlich auszuschließen. Die überwiegende Zahl der Krankenhäuser ist aber ehrlich.
Übrigens sind Krankenhäuser gemäß BSG bereits jetzt nach 2 Jahren mit Nachforderungen an die Kassen ausgeschlossen (das dem Haushaltsjahr folgende Jahr) Gerade gemäß den Rechtsprechungen des BSG wird doch nun nach Treu und Glauben wieder die sogenannte „Waffengleichheit“ geschaffen. Denn auch die Krankenkassen haben doch bis zum BSG-Urteil nie daran geglaubt, dass sie Schlaganfallbehandlungen der letzten 4 Jahre zurückfordern können. Im Übrigen regeln SGB und PrüfvV ohnehin eindeutig innerhalb welcher Frist Kassen von ihrem Recht zur Rechnungsprüfung durch den MDK Gebrauch machen können. Wenn sie es bisher nicht getan haben, dann hatten sie auch keinen Verdacht auf Falschabrechnung.
In diesem Sinne wünsche ich mir, wie Sie und auch das BSG formuliert haben, weiterhin einen fairen Umgang von Krankenkassen und Krankenhäuser miteinander, frei von jeglicher Polemik und vor allem immer zum gesundheitlichen Wohl der Versicherten.
Ein solches Gesetzgebungsvorhaben ist einmalig und kostet die Versichertengemeinschaft Millionen. Selbstverständlich rechnen nicht alle Krankenhäuser falsch ab; das bestätigen viele sozialgerichtliche Verfahren, die für Krankenhäuser erfolgreich ausgehen. Aber diejenigen, die falsch abrechnen, die aus jeder Obstipation einen Darmverschluss machen, die vor dem Histo-Befund entlassen, um dann mit neuem Fall „weiterzubehandeln“, bei denen jeder Leistenbruch hoch kompliziert und verwachsen ist und einer Drainage bedarf etc., all diese können sich freuen, weil ihr Handeln weitgehend folgenlos bleibt. Ob nun die BSG-Rechtsprechung den Gesetzgeber veranlasst, so zu handeln, kann dahinstehen. Das Gesetzgebungsverfahren (auch die Art und Weise — Geheimniskrämerei bis zum Schluss!) entbehrt jeder Rechtsstaatlichkeit. Man kann sich über Rechtsansichten streiten. Grundlegende Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit darf man als Gesetzgeber nicht einfach ignorieren.
Zum Thema „Waffengleichheit“: Die Frist, die Sie ansprechen, betrifft die Nachkorrektur von Rechnungen, also die nachträgliche Änderung eines DTA-Datensatzes. Hier kommt es nach der BSG-Rechtsprechung auf das folgende Haushaltsjahr an. Eine feststehende Forderung (z.B. nach erfolgter Aufrechnung) kann das Krankenhaus genauso binnen vier Jahren geltend machen. Auch bei Ihnen dürften – bis die Gesetzgebung bekannt wurde – die Fälle aus 2014 einer besonderen Prüfung unterworfen gewesen sein, oder?
Auch ich finde ein faires Miteinander wichtig. Fair ist es aber nicht, einseitig Forderungen zu streichen, Gespräche mit Krankenhäusern zu unterwandern (wer will denn jetzt noch verhandeln!) und letztlich einer Seite Millionenforderungen zu entreißen. Gewisse Sprachlosigkeit über das Vorgehen des Gesetzgebers habe ich am Rande von Verhandlungen auch von Kollegen wahrnehmen können, die auf Krankenhausseite auftreten.