Nachkodierung: Regelt § 7 Abs. 5 PrüfvV (a.F.) eine Ausschlussfrist?
Eine im Bereich der stationären Abrechnungsprüfung hoch umstrittene Frage ist das Verständnis des § 7 Abs. 5 der Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV). Die Vorschrift regelt die Nachkodierung, also die Rechnungskorrektur, wenn ein Prüfverfahren beauftragt wurde. Hierbei normiert die Klausel, dass Korrekturen und Ergänzungen des Datensatzes nur einmalig möglich sind. Sie dürfen nur innerhalb von fünf Monaten nach Einleitung des Prüfverfahrens durch die Krankenkasse erfolgen.
Trotz guter Argumente zugunsten einer Ausschlussfrist sprechen sich die Gerichte in der aktuell veröffentlichten Rechtsprechung gegen eine solche aus. Diese ist jedoch durchaus kritisch zu hinterfragen. Eine Entscheidung des Bundessozialgerichts liegt noch nicht vor.
[Hinweis: Der Artikel spiegelt noch den Rechtsstand zum Zeitpunkt der Erstellung des Artikels wider. Zwischenzeitlich hat das Bundessozialgericht zur Frage der Ausschlussfristen entschieden. Demnach regeln nach Ansicht des BSG § 7 Abs. 5 PrüfvV und § 7 Abs. 2 PrüfvV zwar keine materiell-rechtlichen Ausschlussfristen, stellen jedoch Präklusionsvorschriften dar.]
Bessere Argumente sprechen für eine Ausschlussfrist
Wie diese Regelung zu verstehen ist, ist rechtlich umstritten. Nach unserer Ansicht sprechen die besseren Argumente dafür, in dieser Regelung eine Ausschlussfrist zu verstehen. § 7 Abs. 5 PrüfvV greift nur, wenn die Krankenkasse ein Prüfverfahren veranlasst hat.
Streitige Rechtsfragen sind durch Anwendung juristischer Auslegungsmethoden zu lösen. Bei Verträgen und Vereinbarungen ist auch nach dem Willen der Vertragspartner zu fragen. Hierbei ist auch die sogenannte Verkehrssitte zu berücksichtigen: Ein gerade bei der Frage der Anforderungen an die Aufrechnung wichtiger Aspekt.
Umkehrschluss aus dem Wortlaut streitet für eine Ausschlussfrist für die Nachkodierung
Hinsichtlich der Nachkodierung regelt die PrüfvV zwei Dinge: Rechnungskorrekturen sind auf einen einmaligen Vorgang beschränkt und müssen zudem binnen fünf Monaten nach Einleitung des Prüfverfahrens erfolgen. Eine ausdrückliche Rechtsfolge benennt die Regelung zwar nicht. Es ergibt sich jedoch aus dem Umkehrschluss, dass mehrmalige Rechnungskorrekturen und sehr späte Rechnungskorrekturen ausgeschlossen sein sollten.
Es ist nicht überzeugend, den Vertragspartnern die Vereinbarung sinnloser Regelungen zu unterstellen.
Nachkodierung im Licht des Normzwecks eines effizienten Prüfverfahren
Dies entspricht auch dem Zweck der PrüfvV. § 1 der Vereinbarung regelt gerade ein effizientes Verfahren als Ziel. Dieser Zweck ist nicht nur in der PrüfvV vereinbart, sondern folgt auch aus dem SGB V, etwa aus dem Beschleunigungsgebot des § 275 SGB V.
Ein effizientes Prüfverfahren würde jedoch dann unterlaufen, wenn das Krankenhaus im eigentlichen Prüfverfahren nicht mehr nachkodieren darf, diese Möglichkeit dann aber nach Beendigung des Prüfverfahrens (wieder) haben soll. Die Krankenkassen müssten dann ggf. ein neues Prüfverfahren einleiten, weil es sich hierbei um Abrechnungsprüfungen, nicht um Behandlungsfallprüfungen handelt. Dies ist gerade das Gegenteil von Effizienz!
Damit würde eine spätere Nachkodierungsmöglichkeit trotz eigentlichen Ausschlusses während des Prüfverfahrens den Normzweck ad absurdum führen: Während bei wiederholter Nachkodierung während des Prüfverfahrens (lediglich) der MDK mehrfach Änderungen des Prüfungsgegenstandes ausgesetzt wäre, müsste im Fall einer später dann (wieder) zulässigen Rechnungskorrektur die Krankenkasse ein ganz neues Prüfverfahren einleiten und den MDK dann erneut mit der Sache befassen.
Abgesehen vom Zeit- und Verwaltungsaufwand böte dieses Verständnis der Norm auch ein erhebliches Missbrauchspotential.
Systematisch ist die Bezeichnung als „Ausschlussfrist“ nicht zwingend
Auch das systematische Argument, dass an anderer Stelle ausdrücklich als solche bezeichnet oder (wie in § 7 Abs. 2 S. 3, 4 PrüfvV) jedenfalls inhaltlich eine Ausschlussfrist geregelt ist und in § 7 Abs. 5 PrüfvV scheinbar nicht, überzeugt nicht. Denn dem Wortlaut ist unzweifelhaft geregelt, in welchem Rahmen bei Einleitung des Prüfverfahrens noch nachkodiert werden darf. Der Wortlaut lässt durch den zwingenden Umkehrschluss, dass außerhalb dieser Grenzen keine Nachkodierungen mehr erfolgen dürfen, keine andere Auslegung zu, als dass mehrfache bzw. spätere Rechnungskorrekturen ausgeschlossen sein sollen.
Treu und Glauben: Das Krankenhaus hat gerade einen Anlass, seine Abrechnung zu überprüfen und rechtzeitig nachzukodieren
Dies entspricht in jeder Hinsicht auch dem Grundsatz von Treu und Glauben, der nach § 69 SGB V i.V.m. § 242 BGB auch zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen gilt. Denn wenn das BSG in seiner Rechtsprechung die Nachkodierung unabhängig vom Prüfverfahren auf das Ende des auf die Rechnungslegung folgenden Kalenderjahres beschränkte, setzt das Krankenhaus gerade eines besonderen Vertrauenstatbestand, wenn es einmalig oder im Rahmen des Prüfverfahrens die Rechnung korrigiert. Denn die Krankenkasse setzt durch die MDK-Prüfung gerade einen Anlass, die Rechnung zu überprüfen. Hier liegt auch ein deutlicher Wertungsunterschied zu Fällen, in denen die Krankenhäuser ohne MDK-Prüfung einen Fehler bemerken.
Es ist erkennbar treuwidrig, wenn während eines Prüfverfahrens nicht mehr nachkodiert werden darf (wegen § 7 Abs. 5 PrüfvV), die Rechnungskorrektur dann aber einfach „ausgesessen“ und auf die Zeit nach der Rechnungskorrektur verlagert wird. An einem an § 7 Abs. 5 PrüfvV ausgerichteten Verhalten setzt das Krankenhaus einen Vertrauenstatbestand auf den Bestand der Abrechnung.
Anders als in der Rechtsprechung des BSG zur alten Rechtslage steht bei Durchführung eines Prüfverfahrens nämlich die Rechnung zur Disposition. Dies muss ein Krankenhaus zur ggf. selbstkritischen Prüfung veranlassen. Untätigkeit oder eine zulässige einmalige Korrektur während des Prüfverfahrens lässt gerade das Vertrauen entstehen, dass das Verfahren abschließend die vom Krankenhaus für zutreffend gehaltene Abrechnung zum Behandlungsfall prüft.
Nach diesem Verständnis muss ein Anspruchsausschluss daher nicht zwingend aus § 7 Abs. 5 PrüfvV, sondern kann auch aus § 69 SGB V i.V.m. § 242 BGB folgen. Dann wäre auch die Diskussion um die angeblich unzureichende Ermächtigungsgrundlage für eine unmittelbare Ausschlussfrist nach § 7 Abs. 5 PrüfvV obsolet.
Rechtsprechung zur Nachkodierung unter Geltung der PrüfvV ist uneinheitlich
Die Rechtsprechung zu dieser Frage ist jedoch für die Krankenkassenseite eher ungünstig. Die bislang veröffentlichten Urteile diskutieren wesentliche Wertungsaspekte jedoch nicht. Insbesondere wird die Treuwidrigkeit einer späteren Nachkodierung nicht berücksichtigt. Wir sehen hier noch erhebliches argumentatives Potential.
Dezidiert gegen eine Ausschlussfrist hat sich das SG Reutlingen ausgesprochen. Das SG Dortmund sah dies ebenso und argumentierte zudem damit, dass die Ermächtigungsgrundlage die Vereinbarung einer solche Ausschlussfrist nicht decke. Angesichts der explizit weit gefassten Ermächtigungsnorm halten wir diese Argumentation jedoch für nicht überzeugend.
Allerdings hat sich auch das LSG Baden-Württemberg der Ansicht angeschlossen, die Ermächtigungsgrundlage trage die Vereinbarung einer Ausschlusfrist an dieser Stelle nicht.
Es bleibt an dieser Stelle abzuwarten, ob und wie das Bundessozialgericht die streitbefangene Rechtsfrage beantworten wird.
Unterstützung im Abrechnungsstreit
Als Kanzlei für Medizinrecht bieten wir Krankenkassen Unterstützung im Abrechnungsstreit und beraten und vertreten Krankenkassen bundesweit. Rechtsanwalt Sebastian Krahnert, der zugleich Arzt ist, ist hierbei Ansprechpartner für den Bereich der stationären Abrechnungsprüfung.
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[…] verspätet oder nicht übersandter Unterlagen nach § 7 Abs. 2 S. 3, 4 PrüfvV sowie diejenigen verspäteter oder wiederholter Nachkodierung bzw. Rechnungskorrektur nach § 7 Abs. 5 PrüfvV. Überzeugend ist insoweit die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg zu § 7 […]