Hinterbliebenengeld: Entschädigung bei Tötung eines Angehörigen
Einen nahen Angehörigen oder Verwandten durch einen Unfall oder eine fehlerhafte medizinische Behandlung zu verlieren ist tragisch, kann aber jeden plötzlich und unerwartet treffen. Oft leiden die Angehörigen am meisten unter dem Verlust ihres geliebten Menschen; in vielen Fällen mehr als der Getötete (zuvor) selbst. Der Hinterbliebene ist regelmäßig ebenfalls Geschädigter. Ein Hinterbliebenengeld im Sinne eines Angehörigenschmerzensgeldes gab es bis vor kurzem jedoch nicht. Erst seit Mitte 2017 hat der Gesetzgeber einen Anspruchsgrundlage geschaffen, die hinterbliebene Angehörige finanziell entschädigt. Als Kanzlei für Medizinrecht informieren wir über die alte und die neue Rechtslage.
Bisherige Rechtslage erkannte „Angehörigenschmerzensgeld“ bzw. Hinterbliebenengeld nicht an
Die bisherige Rechtslage war eher restriktiv. Die Schadensnorm des § 823 Abs. 1 BGB wurde von der Rechtsprechung nicht großzügig ausgelegt. Es muss einen eigenen erlittenen Schaden (mit „pathologischem Wert“) geben, um ein Schmerzensgeld zu erhalten. Ein solcher „Schockschaden“ war oft nur schwer nachweisbar. Ein echtes „Angehörigenschmerzensgeld“ gab es nicht. Die von Hinterbliebenen erlittene Trauer und das seelische Leid hat das bisherige Recht demnach in aller Regel als entschädigungslos hinzunehmendes Schicksal angesehen.
Eigener Anspruch des Getöteten kann auf Erben übergegangen sein
Die sog. Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 BGB ermöglicht es den Erben, die vom Verstorbenen auf sie übergegangenen Forderungen geltend zu machen. Dies umfasst zB. Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB für erlitten Schmerzen oder Qualen vor dem Tod durch unerlaubte Handlungen anderer. Anspruchsgegner können beispielsweise Unfallgegner, Gewalttäter oder auch Ärzte sein, die zum Tode führende Behandlungsfehler begangen haben.
Ein eigenes Schmerzensgeld konnte das Todesopfer jedoch nur vererbt haben, wenn zu Lebzeiten auch Schmerzen oder Qualen erlebt werden konnten. Dies ist etwa fraglich, wenn ein Angehöriger unter Narkose durch einen Behandlungsfehler während einer Operation verstirbt.
Rechtsanwalt und Arzt Sebastian Krahnert und Rechtsanwältin Katja Krahl sind spezialisiert auf die Geltendmachung solcher Ansprüche.
Aufgrund der anwaltlichen Praxis und ihren Erfahrungen durch Kenntnis des medizinischen Alltags kann die Kanzlei für Medizinrecht mit ihren Mitarbeitern den Ursachen versiert auf den Grund gehen. Unter anderem im Arzthaftungsrecht befassen sich die Anwälte in vielen Fällen eben auch mit Schmerzensgeldforderungen befasst u.a. mit der Erstattung von „Schockschäden“.
Bisherige Rechtslage: „Schockschäden“ und geerbter Schmerzensgeldanspruch des Todesopfers
Neben den bei der Erbschaft auf die Erben übergegangene Ansprüche können nahe Angehörige jedoch auch eigene geltend machen.
Der Eintritt eines Unglücksfalls hat meistens erhebliche Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden und kann sich massiv auf den berufliche Leistungsfähigkeit und psychisches Wohlbefinden auswirken. Liegt eine nachvollziehbare psychische Beeinträchtigung vor, die Krankheitswert hat, kann unter Umständen ein solcher (eigener) „Schockschaden“ beansprucht werden.
Die Hürden ist allerdings sehr hoch.
Schockschäden: am Beispiel erläutert
Verständlich erscheint aus diesem Grund, dass Angehörige für solch einen Verlust ein „Angehörigenschmerzensgeld“ verlangen. Der „Schockschaden“ wurde teilweise so verstanden. Nach ständiger Rechtssprechung jedoch auch nur unter der Voraussetzung, dass der erlittene Verlust sich in dem damit verbundenen seelischen Leid in der Weise wiederspiegelt, dass er einen pathologischen Zustand hervorruft; d.h. er muss sich in Folge des Todes, negativ auf die eigene Gesundheit ausgewirkt haben. Zudem müssen die Folgen über bloße gesundheitliche Beeinträchtigungen, denen ein Hinterbliebener im Falle eines fremdverursachten Todes in der Regel ausgesetzt sind, hinausgehen. Dies muss pathologisch fassbar sein und vom Hinterbliebenen tatsächlich nachgewiesen werden (so etwa BGH, Urteil vom 27.1.2015, Az. VI ZR 548/12).
Gefühle der Trauer oder Verzweiflung stellen hierbei keinen Gesundheitsverletzung dar. Etwas anderes gilt nur in Fällen, bei welchen die Trauergefühle medizinisch relevante Auswirkungen haben und zu einer fassbaren und einer ärztlichen Behandlung bedürfenden Störung der physiologischen Abläufe gekommen ist.
Beispiel: depressive Verstimmung nach dem Tod eines Angehörigen
Veranschaulichen lässt sich dies in dem Beispiel: Erleidet jemand durch den plötzlichen Tod des Ehepartners einen schweren seelischen Schock, aus welchem länger andauernde Depressionen resultieren und diese schließlich zur temporären Arbeitsunfähigkeit führen, ist dies grundsätzlich eine Gesundheitsbeschädigung und erfüllt die gesetzlichen Haftungsvoraussetzungen. Jedoch kann es sich auch als normale seelische Reaktion darstellen, in dieser Weise auf einen Verlust zu reagieren, was folglich das Gegenteil einer „Erkrankung“ sei ([so BGH, Urt. v. 11.5.1971, Az. VI ZR 78/70 = NJW 1971, 1883 (1884)). Im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB soll erst dann eine Gesundheitsverletzung vorliegen, wenn sie in einer (traumatischen) Schädigung in gewichtigen psychopathologischen Ausfällen von einiger Dauer bestehen (BGH, Urt. v. 4.4.1989, Az. VI ZR 97/88 = NJW 1989, 2317).
Entsprechend des Gesetzeszwecks von § 823 Abs. 1 BGB ist im beschriebenen Beispielsfall also oft keine Gesundheitsschädigung im Sinne dieses Gesetzes anzunehmen, soweit es sich „nur“ um psychische Belastungen handelt, deren Nachteile das gesundheitliche Allgemeinbefinden – bei solch einem schmerzlich empfundenen Trauerfall – nicht erheblich übersteigen (BGH, Urt. v. 4.4.1989, Az. VI ZR 97/88 = NJW 1989, 2317 (2318)) .
Die Klägerin würde im Beispielsfall die Beweislast dafür tragen, dass sich die Depression wesensverändernd auswirken, sie also z.B. an übermäßiger Erregbarkeit, Schlaflosigkeit, Weinanfällen und Zittern bei geringster Aufregung leidet oder litt; ggf. auch dafür, dass jenes Verlustereignis über Schmerz, Trauer und Niedergeschlagenheit hinaus unmittelbar zu einer „traumatischen“ Schädigung führte (BGH, Urt. v. 11.5.1971, Az. VI ZR 78/70 = NJW 1971, 1883 (1885)).
Materieller Schadensersatz der Angehörigen nur begrenzt möglich
Der Ersatz von (materiellen) Vermögensschäden für den Hinterbliebenen in Folge des Unfalls, wie z.B. Beerdigungskosten, entgangener Unterhalt oder entgangene Dienste kann durch § 844 BGB beansprucht werden. Gemäß § 844 Abs. 1 BGB hat der ersatzpflichtige Schädiger die Beerdigungskosten zu ersetzen, sowie gem. § 844 Abs. 2 BGB einem, gegenüber dem Getöteten unterhaltsberechtigten Dritten eine Geldrente einzurichten, um so Schadensersatz zu leisten. Der damit durchzusetzende Schadensersatz erfasst im Groben zwar den Ersatz von materiellen Schäden, jedoch nicht den (immateriellen) Ersatz für das seelische Leid oder das verlorene Leben des Angehörigen.
Neue Rechtslage: Entschädigung für Angehörige von Todesopfern („Hinterbliebenengeld“)
Dass sich das seelische Leid auch in einem medizinisch relevanten – also einem gesundheitsschädigenden – Ausmaß fassbar manifestiert hat, war in der Praxis unter diesen Voraussetzungen, beweistechnisch schwer durchzusetzen. Zudem ist im Falle eines plötzlichen und sofortigen Todes (ohne Schmerzen) nach einem Unfall, kein zu übertragener Schmerzensgeldanspruch vorhanden, welcher eine Art von Ersatz/Ausgleich zur Genugtuung des Hinterbliebenen rechtfertigen könnte.
Geändert hat sich dies durch den Beschluss des Bundestages vom 17.5.2017 zum Anspruch auf Hinterbliebenengeld (Bundestagsdrucksache 18/12421). Der im § 844 BGB neu angefügte Absatz 3 ermöglicht nun, eine angemessene Entschädigung in Geld von dem für die Tötung Verantwortlichen zu verlangen, sofern der Hinterbliebene in einem besonderen Näheverhältnis zum Getöteten stand.
Es wird auf die Nähebeziehung abgestellt, welche durch den plötzlichen Tod „verloren“ geht und erhebliche Beeinträchtigungen des Wohlbefinden auslösen kann, jedoch ohne den sonst erforderlichen Nachweis des Klägers einer medizinisch fassbaren Gesundheitsbeschädigung in Gestalt eines „Schockschadens“.
Voraussetzungen für das Hinterbliebenengeld
§ 844 Abs. 3 BGB setzt den Tod eines Menschen voraus. Anspruchsberechtigt sind gem. § 844 Abs. 3 S. 1 BGB die Hinterbliebenen, welche zur Zeit der Verletzungshandlung zu dem Getöteten in einem besonderen Näheverhältnis standen. Dieser Umstand ist bei nahen Familienangehörigen regelmäßig anzunehmen und wird nach § 844 Abs. 3 S. 2 BGB gesetzlich vermutet. Dies betrifft Ehepartner, Lebenspartner, die Eltern und die Kinder des Getöteten.
Andere Personen können jedoch auch anspruchsberechtigt sein, sofern sie eine tatsächlich sozial gelebte Beziehung zum Getöteten führten, welche in der Intensität einem in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB genannten typischen Näheverhältnis entspricht. Dadurch können auch Partner einer ehe- oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft, Verlobte, Stief- und Pflegekinder sowie Geschwister des Getöteten das Hinterbliebenengeld beanspruchen.
Ferner müssen die haftungsbegründenden Voraussetzungen einer unerlaubten Handlung vorliegen. Es muss also grundsätzlich durch ein sorgfaltspflichtverletzendes Handeln oder Unterlassen, der Tod des nahen Angehörigen unmittelbar verursacht worden sein. Vor allem wird dies bei Arzthaftungsfällen bei stationären oder ambulanten ärztlichen Behandlungen in Praxen und Krankenhäusern Anwendung finden. Dabei hat der Arzt für diejenigen Schäden einzustehen, welche bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB nicht in der Gestalt eingetreten wären. Dazu zählen primär sog. Behandlungsfehler oder auch Aufklärungsfehler des Arztes. Maßgeblich dafür ist der aktuelle medizinische Standard.
Anders als nach § 823 Abs. 1 BGB ist hier kein bestimmtes, vom Kläger zu beweisendes Mindestmaß des seelischen Schmerzes vorgesehen. Empfindet der Kläger mangels innerer Beziehung zum Getöteten den verursachten Tod nicht als Verlust oder seelischen Schmerz, kann dies von der Gegenseite allenfalls widerlegt werden.
Höhe des Hinterbliebenengeldes
Zur Höhe des Hinterbliebenengeldes gibt es gegenwärtig kaum Rechtsprechung. Die Entschädigung soll und kann einen Ausgleich für den Verlust darstellen. Dessen Bedeutung kann natürlich nicht konkret in Geld bemessen werden. Der Hinterbliebene soll jedoch durch den Ausgleich in die Lage versetzt werden, seine Trauer und das seelische Leid zu lindern, was durch den Verlust des ihm besonders nahesteheneden Menschen verursacht wurde (Bundestagsdrucksache 18/11397).
Die von der Rechtssprechung entwickelten Grundsätze zur angemessenen Bestimmung des Schmerzensgeldes bei Schockschäden sollen hier eine gewisse Orientierung geben. Je nach konkreten Umständen Einzelfall wird die Höhe durch das Gericht nach § 287 ZPO bemessen und kann dementsprechend auch unterschiedlich ausfallen. Der Gesetzgeber und die juristische Literatur gehen davon aus, dass dies im Wesentlichen vom Näheverhältnis abhängt. Beziffert wird der Anspruch gegenwärtig mit durchschnittlich 10.000 €, bis hin zu 20.000 € – pro nahestehendem Angehörigen.
Zusammenfassung: Hinterbliebenengeld führt zu neuen Ansprüchen von Angehörigen bei der Tötung nahestehender Menschen und zu einer Erweiterung der Haftungsrisiken, etwa für Ärzte
Das Hinterbliebenengeld erweitert die Ansprüche von Angehörigen bei der Tötung nahestehender Menschen. DIe Hinterbliebenen können nun – neben einem ererbten Anspruch des Getöteten – auch einen eigenen Anspruch geltend machen, ohne dass ihre Trauerreaktion über das „Normalmaß“ in einen pathologischen Bereich abgleiten muss. Die Rechtsstellung der Angehörigen hat sich damit deutlich verbessert. Spiegelbildlich erweitert sind damit aber zugleich die Haftungsrisiken in gefahrgeneigten Situationen – etwa im Straßenverkehr oder bei der ärztlichen Behandlung.
Als medizinrechtlich spezialisierte Kanzlei sind wir auf den Umgang mit Ansprüchen aufgrund von Personenschäden spezialisiert. Dieser Artikel kann nur einen allgemeinen Überblick liefern und ersetzt nicht die fallbezogene Beratung. Im Einzelfall nehmen Sie einfach mit uns Kontakt auf. Wir schätzen Ihren Fall für Sie ein und zeigen Ihnen einen Weg auf, mit entsprechenden Ansprüchen umzugehen.