Kodierung: HFNC-Atemunterstützung zählt nicht zu Beatmungsstunden
Eine derzeit rechtlich hoch umstrittene Frage ist, ob die HFNC-Atemunterstützung bei Neugeborenen zu den Beatmungsstunden hinzugerechnet werden darf. Als Rechtsanwaltskanzlei für Medizinrecht ist einer unserer Schwerpunkte die Beratung und Vertretung bei Streitfällen über die stationäre Abrechnung. Im Rahmen unserer Tätigkeit haben wir uns mit dem Streitfall der HFNC-Atemunterstützung auseinandergesetzt. Nach unserer Auffassung können die Zeiten der HFNC-Atemunterstützung nicht als Beatmungszeit gezählt werden. Geschieht dies dennoch, können Krankenhäuser mit berechtigten Rückforderungen der Krankenkassen konfrontiert sein. Das Rechtsproblem ist gegenwärtig beim Bundessozialgericht anhängig. Mit diesem Beitrag besprechen wir zugleich die Entscheidung des LSG Hessen vom 9.11.2017, L 11 KR 166/15.
HFNC-Atemunterstützung ist keine Beatmung
Ausgangspunkt ist zunächst die Feststellung, was HFNC überhaupt aus medizinischer Sicht ist. Nach dem Funktionsprinzip fließt mittels Kanülen über einen Luftstrom Atemgas lungenwärts durch die Nase. Anders als CPAP ist HFNC jedoch kein geschlossenes System: Während die CPAP die Einstellung eines definierten postitiven Atemenddrucks ermöglicht (Mund und Nase sind über eine Maske abgedichtet), sind Mund und Nase bei HFNC „offen“.
Der Patient übernimmt sowohl bei CPAP als auch bei HFNC die Atemarbeit selbst. Die Bewegung der Atemgase erfolgt durch die körpereigene Kraft. Die Atemunterstützung verstärkt den Einstrom der Luft. Sie stärkt durch den positiven endexspiratorischen Druck zugleich die Atemarbeit.
Wie sich auch aus einer Information der renommierten Cochrane-Datenbank ergibt, handelt es sich bei HFNC um ein neuartiges, eigenständiges Verfahren. Es unterscheidet sich technisch und medizinsich von CPAP. Auch Outcome und Erfolgsraten sind Gegenstände vergleichender Untersuchungen. Daher sind CPAP und HFNC nicht gleichzusetzen (vgl. Cochrane-Information vom 22.2.2016). Letztlich zeigt sich die Unterscheidung auch durch die differenzierte Kodierung beider Methoden im OPS (vgl. beispielhaft im OPS 2018).
Da der Patient die Atemarbeit selbst leistet, ist auch die Defintion der Beatmung im Sinne der Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) nicht erfüllt (vgl. dort die Randnummer 1001l). Auch das BSG hat für CPAP klargestellt (vgl. BSG, Beschluss vom 10.3.2015, B 1 KR 82/14 B), dass es sich nicht um eine Beatmung im Sinne der DKR handelt. Dies muss erst recht für das noch weniger invasive HFNC gelten.
HFNC-Atemunterstützung kann bei zutreffender rechtlicher Würdigung nicht zu den Beatmungszeiten hinzugezählt werden
Wir fassen die daraus folgenden rechtlichen Wertungen zusammen:
- Nach den DKR können grundsätzlich nur Zeiten der (definitorischen) Beatmung als Beatmungszeit kodiert werden. Zeiten der Atemunterstützung sind regelmäßig nicht zu berücksichtigen. Ausnahmen regeln die DKR gesondert.
- Ausnahmeregelungen für CPAP sind nicht auf HFNC anwendbar. Die DKR sind streng nach dem Wortlaut auszulegen. Da CPAP und HFNC verschiedene Methoden sind, verbietet sich daher eine analoge Anwendung der Regelungen für CPAP auf HFNC.
- Würden CPAP oder HFNC die Definition der maschinellen Beatmung nach den DKR erfüllen, wären Ausnahmeregelungen hierzu in den DKR überflüssig.
- Erst ab dem Jahr 2013 änderte man die DKR dahingehend, dass die CPAP-Atemunterstützung bei Neugeborenen hinsichtlich der Beatmungsdauer berücksichtigungsfähig wurde. Für frühere Zeiten gilt dies entsprechend nicht. Für HFNC gibt es auch in den DKR 2018 keine Sonderregelung.
- Soweit bis zum OPS 2012 im Abschnitt 8–71 noch von „Maschinelle Beatmung über Maske oder Tubus“ als Überschrift die Rede war, ist zunächst festzustellen, dass die Überschrift ab 2013 lautet: Maschinelle Beatmung und Atemunterstützung über Maske oder Tubus“. Aber schon vor 2013 differenzierten die einzelnen Kodes unter 8–71 sprachlich zwischen „maschineller Beatmung“ und „Atemunterstützung“. Daher greift dieses vermeintliche Wortlautargument nicht, zumal dann auch CPAP als Beatmung gelten müsste und jede Sonderregelung in den DKR überflüssig wäre.
- Entscheidend ist jedoch, dass die Frage, ob eine Form der Atemunterstützung als Beatmung zu betrachten ist, die Anwendung der Definition der DKR beantworten muss. Die Kodierrichtlinien geben vor, was unter Beatmung zu verstehen ist. Der OPS kann nicht einfach ein medizinisches Verfahren als Beatmung „umdefinieren“. Dies ist freilich selbst bis 2012 nicht geschehen. Denn unter OPS 8–71 ist stets zwischen „maschineller Beatmung“ und „Atemunterstützung“ differenziert worden. Lediglich die Überschrift pauschaliert in grober Weise. Wenn nach Ansicht des BSG bereits CPAP keine Beatmung ist, gilt dies erst recht für HFNC. Demnach wären Beatmungszeiten nur dann zu berücksichtigen, wenn die am Wortlaut auszulegenden DKR eine Sonderregelung beinhalten würden. Dies ist aber für HFNC nicht der Fall.
Die Entscheidung des LSG Hessen vom 9.11.2017 (L 1 KR 166/15) kann vor diesem Hintergrund nicht überzeugen: Die damalige OPS-Überschrift kann die Definition der DKR nicht übergehen
Nach alledem kann auch die Entscheidung des LSG Hessen vom 9.11.2017, L 11 KR 166/15, nicht überzeugen. In der Entscheidung ist eine wirkliche Auseinandersetzung mit rechtlichen Argumenten nicht zu erkennen. Das einzig erkennbare rechtliche Argument des Landessozialgerichts ist die Überschrift im OPS-Abschnitt 8–71 bis einschließlich 2012 (s.o.). Das Landessozialgericht verweist dann ferner auf die Rechtsprechung des BSG, wonach in Kodierfragen streng nach dem Wortlaut unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen ist.
Nach unserer Auffassung verkennt das Gericht hierbei, dass das BSG ausdrücklich nicht nur die OPS-Kodes der Wortlautauslegung unterwirft, sondern u.a. auch die Deutschen Kodierrichtlinien (DKR). Diese geben jedoch definitorisch vor, was unter Beatmung zu verstehen ist. Hier hat das BSG bereits klargestellt, dass jedenfalls CPAP keine Beatmung darstellt. Für das noch weniger invasive HFNC kann nichts anderes gelten.
Wenn bereits aus der etwas pauschalisierenden Überschrift zu OPS 8–71 (bis einschließlich 2012) folgen würde, dass CPAP (und sogar HFNC) Beatmung darstelle, würde dies zahlreiche systematische Friktionen mit sich bringen. Abgeseshen davon, dass auch der o.g. Beschluss des BSG dann falsch wäre, weil er sich – zu Recht – auf die definitorischen Vorgaben der DKR stützt, hätte das LSG hinterfragen müssen, warum überhaupt in so umfangreichen Maßnahmen Ausnahmevorschriften für CPAP in den DKR erforderlich sind, wenn CPAP bereits maschinelle Beatmung darstellen soll. Zudem berücksichtigt das LSG nicht, dass in den bis 2012 geltenden OPS-Fassungen die Einzelkodes sehr wohl zwischen „Atemunterstützung“ und „maschineller Beatmung“ differenzieren.
Dies alles gilt erst recht für HFNC. Denn es handelt sich um eine noch niederschwelligere, unaufwendigere Methode der Atemunterstützung als CPAP. Sie ist also noch „weiter“ von der „echten“ maschinellen Beatmung entfernt. Die DKR haben hierfür bis 2018 keine Sonderregelungen geschaffen. Das DRG-System ist ein lernendes System. Wollte man HFNC für berücksichtigungsfähig halten, wäre dies in einer entsprechenden Änderung der DKR für die Zukunft zu berücksichtigen.
Ansonsten müssen die Beteiligten schlichtweg damit leben, dass eine weniger invasive und weniger aufwendige Form der Atemunterstützung auch eine geringere Vergütung bringt.
Rechtsfrage beim BSG anhängig
Die Rechtsfrage ist gegenwärtig (9.9.2018) beim BSG anhängig. Allerdings ist insoweit die Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13.3.2018, L 5 KR 504/15, Vorinstanz. Darin hat das Bayerische LSG entschieden, die HFNC „jedenfalls“ bei einem Frühgeborenen unter 1.500 g als Beatmung zu werten. Vor dem Hintergrund der o.g. Argumente und des medizinischen Mechanismus der HFNC halten wir auch diese Entscheidung für nicht überzeugend. Es bleibt abzuwarten, wie das Bundessozialgericht entscheiden wird.
Insgesamt sind die Rechtsstreitigkeiten in dieser Frage auch deshalb etwas erstaunlich, weil sie eigentlich von Seiten des MDK und der krankenhausseitigen FoKA im Kosens beantwortet werden (vgl. KDE-524).
Update am 30. Juli 2019: BSG teilt die hiesige Rechtauffassung
Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 30.7.2019 im Sinne der hier dargestellten Rechtsauffasung entschieden. Wir verweisen auf unseren gesonderten Artikel zum Urteil vom 30.7.2019.
Wir beraten und vertreten im Streitfällen zur stationären Abrechnung
Als medizinrechtliche Rechtsanwaltskanzlei sind wir auf die Vertretung und Beratung bei Streitfällen zur stationären Abrechnung spezialisiert. Gerne vertreten und beraten wir auch Sie. Nehmen Sie Kontakt mit uns auf.