Haftung für Arzneimittelschäden: die Antibabypille und das Thromboserisiko
Die Haftung im medizinischen Kontext spielt sich nicht nur im Rahmen der medizinischen Behandlung selbst ab. Auch im Arzneimittelrecht können zivilrechtliche Ansprüche für die Kompensation für erlittenen Schäden entstehen, eben von Arzneimittelschäden. Gegenwärtig kursiert in den Medien ein aktueller Fall. Eine junge Frau hat eine Lungenembolie und dadurch erhebliche Beeinträchtigungen erlitten, die sie teilweise für den Rest ihres Lebens begleiten werden (vgl. statt vieler: Spiegel online vom 16. Dezember 2015, Deutsche Welle vom 17. Dezember 2015). Hierfür macht sie die Antibabypille „Yasminelle“ von Bayer verantwortlich, die u.a. den Wirkstoff Drospirenon enthält.
Antibabypille: keine Wirkung ohne Nebenwirkung
Die Antibabypille (umgangssprachlich: Pille) ist ein Arzneimittel, das in den Hormonhaushalt der Frau eingreift. Es leuchtet ein, dass ein solcher Eingriff in den Stoffwechsel Auswirkungen auf den gesamten Organismus haben kann und nicht nur die kontrazeptive (empfängnisverhütende) Wirkung entfaltet. Es bewahrheitet sich also auch hier die alte pharmakologische Redensart, dass es keine Wirkung ohne Nebenwirkung gibt. Allein Wikipedia nennt diverse Nebenwirkungen und führt dabei das Thromboserisiko ausführlich aus. Die Erhöhung der Gefahr für die Bildung von Blutgerinnseln in den Venen, die die Ursache von Lungenembolien sind, ist also nicht völlig neu. Auch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) weist in einem sogenannten Rote-Hand-Brief auf die Risiken von Venenthrombosen und Lungenembolie hin. Wie auch das Deutsche Ärzteblatt feststellt, wird darin das Risiko der Antibabypille Yasminelle als eher niedrig bewertet. Abgesehen hiervon verändert die Antibabypille auch Krebsrisiken: in einigen Fällen werden sie erhöht, in anderen gesenkt.
Gemeinsam mit anderen eher harmlosen Nebenwirkungen zeigt sich demnach: Die Antibabypille ist ein Arzneimittel, das in den Gesamtorganismus eingreift und daher auch mit diversen Nebenwirkungen und anderen Veränderungen von Risikoprofilen einhergeht. Keineswegs sollte sie daher als Lifestyle-Medikament verstanden werden, etwa um Gewicht abzunehmen oder die Hautreinheit zu verbessern.
Haftung des pharmazeutischen Unternehmers
Aus den Medienberichten ergeben sich nicht allzu viele juristische Details zu dem konkreten Fall. Für Genaueres muss also die veröffentlichte Entscheidung abgewartet werden. Dennoch ergibt sich aus der Berichterstattung, dass die junge Frau zum einen Auskunft über die Antibabypille „Yasminelle“ begehrt; zum anderen Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 200.000 €.
Auskunftsanspruch
Ein recht umfassender Auskunftsanspruch gegen den pharmazeutischen Unternehmer folgt aus § 84a des Arzneimittelgesetzes (AMG). Er soll die Chancengleichheit im Prozess wahren, denn – ähnlich wie im Arzthaftungsrecht – besteht auch in der Arzneimittelhaftung ein Informationsgefälle zwischen pharmazeutischem Unternehmer und Patienten. Die Informationen dienen also dazu, dem betroffenen Patienten eine angemessene Rechtsverfolgung zu ermöglichen (vgl. zum arzneimittelrechtlichen Auskunftsanspruch insgesamt: Legal Tribune online vom 30. November 2010).
Schadensersatz und Schmerzensgeld
Einen Schadensersatzanspruch im Arzneimittelrecht vermittelt § 84 Abs. 1 AMG. Er ist verschuldensunabhängig; auf Fahrlässigkeit oder Verschulden des pharmazeutischen Unternehmers kommt es nicht an. Dies ist eine typische Konstruktion des Gesetzgebers, wenn es darum geht, zivilrechtliche Ausgleichsansprüche für besonders gefährliche Handlungen – wie das Inverkehrbringen von Arzneimitteln – zu schaffen (sog. Gefährdungshaftung).
Darüber hinaus enthält § 84 Abs. 2 AMG eine Beweiserleichterung: Die Ursächlichkeit der Arzneimitteleinnahme für den Schaden wird vermutet, wenn eine generelle Eignung des Arzneimittels für die Verursachung dieses Schadens besteht.
Yasminelle: interessante rechtliche Problemlage
Den Medienberichten zufolge soll sich der Streit vor allem darum ranken, ob der pharmazeutische Unternehmer in der Gebrauchsinformation hinreichend auf das Thrombose- und Embolierisiko bei Frauen hingewiesen hat, die nicht zu besonderen Risikogruppen gehören. Es sollen Sachverständige zugezogen werden. Ohne den konkreten Fall zu kennen, kann selbstverständlich hier keine seriöse Einschätzung abgegeben werden. Der weitere Verfahrensgang wird daher mit Spannung zu beobachten sein. In jedem Fall handelt es sich um einen interessanten Fall der Arzneimittelhaftung, die in der öffentlichen Wahrnehmung gerade nicht alltäglich ist. Im Medizinrecht ist die Arzneimittelhaftung jedoch keinesfalls exotisch.
Die aufgeworfenen Rechtsfragen sind interessant, inbesondere zur Reichweite der Aufklärungspflicht des pharmazeutischen Unternehmers über –gegebenenfalls auch geringfügige – Risiken der Antibabypille. Welches Maß ist für die Realisierung der eigenverantwortlichen Entscheidung der Frau erforderlich? Fest steht, dass der Schaden beim Eintreten einer Lungenembolie sehr groß sein kann. Auch der Tod ist hierbei möglich. Ein hohes Schadenspotential erfordert üblicherweise auch bei seltenen Risiken eine hinreichende Aufklärung, um die Patientenautonomie zu wahren. Wie dies im konkreten Fall der Antibabypille „Yasminelle“ aussieht, muss sich nun im Prozess zeigen. Wir werden den Fall weiterverfolgen.