Gedächtnisprotokoll und Tagebuch im Arzthaftungsrecht
Im Arzthaftungsrecht kommt es sowohl auf der Patientenseite („Aktivseite“) als auch auf der Arztseite („Passivseite“) darauf an, den Geschehensablauf im Nachhinein zu rekonstruieren. Darüber hinaus müssen die Folgen der rechtswidrigen Schädigung in der streitigen Auseinandersetzung dargelegt werden können. Hierfür sind das Gedächtnisprotokoll und das Führen eines Tagebuchs bewährte Hilfsmittel.
Im Arzthaftungsrecht – egal ob in allgemein Arzthaftungsfällen oder in Großschadensfällen wie im Geburtsschadensrecht – zeigt sich dieser Vorteil ganz deutlich: Das Gedächtnisprotokoll ermöglicht es, aus der Perspektive des Rückblicks („ex post“) zu rekonstruieren und im Prozess darzulegen. Das Tagebuch ermöglicht es, die gegenwärtigen Auswirkungen der Schädigung festzuhalten. Damit ist auch eine fundierte Prognose für die Zukunft möglich. Damit ist es auch möglich, Schadensersatz und Schmerzensgeld genauer und substantiierter zu beziffern.
Auch im allgemeinen Schadensrecht, insbesondere im Personenschadensrecht, sind Gedächtnisprotokoll und Tagebuch sinnvolle Mittel. Auch hier dient das Gedächtnisprotokoll, den Geschehensablauf zu rekonstruieren. Insgesamt hier hier aber naturgemäß weniger Dokumentation vorhanden als in Arzthaftungssachen. Fälle der Arzthaftpflicht greifen auf die pflichtgemäße Behandlungsdokumentation zurück. Eine solche Protokollierung fehlt naturgemäß bei Unfällen und Körperverletzungen. Dem Gedächtnisprotokoll kommt dadurch ein besonderer Wert zu. Das Tagebuch hat einen vergleichbaren Wert wie in der Arzthaftpflicht, nämlich die Dokumentation gegenwärtiger und die Prognose zukünftiger Schadensfolgen.
Das Gedächtnisprotokoll auf Patientenseite
Das Wissens- und Informationsdefizit zwischen Arzt und Patient führt dazu, dass auf Patientenseite dem Gedächtnisprotokoll ein besonderer Wert zukommt. Ein Rechtsanwalt, der im Medizinrecht und in der Medizin versiert ist, wird in der Lage sein, hieraus ggf. schon erste Anhaltspunkte herzuleiten. Dazu ist es jedoch erforderlich, dass das Gedächtnisprotokoll möglichst strukturiert und detailliert ist. Auch vermeintlich unwichtige Details können aus der juristischen Perspektive einen Wert haben, der sich dem Patienten selbst nicht auf Anhieb erschließt.
Ein solches Protokoll sollte beinhalten:
- grober Geschehensablauf,
- Detailerinnerungen zum Teilgeschehen,
- beteiligte Personen (behandelnde Ärzte, Pflegepersonal, mögliche Zeugen wie Mitpatienten):
Wer machte etwas? Wer trat wann hinzu? Wer war anwesend, ohne etwas zu tun? - (auch beiläufige) Äußerungen von Personen,
- bemerkte Auffälligkeiten oder Besonderheiten,
- sonstige eigene Wahrnehmungen.
Das Gedächtnisprotokoll auf Arztseite
Auch auf Arztseite kann ein Gedächtnisprotokoll sinnvoll sein, um dem Vorwurf des Behandlungsfehlers entgegenzutreten. Das Protokoll sollte ebenso sämtliche Details zu dem Zwischenfall beinhalten, auch wenn sie zunächst unwichtig erscheinen mögen. Ihre Bedeutung kann sich ggf. erst später zeigen. Das Protokoll sollte eine persönliche Aufzeichnung des Arztes für das Festhalten seiner eigenen Wahrnehmung sein. Es dient nicht der Behandlungsdokumentation! Es sollte daher auch nicht zusammen mit der Patientenakte aufbewahrt werden, denn dann würde es auch der Akteneinsicht unterfallen. Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Dokumentation nach dem BGB gilt selbstverständlich unabhängig davon.
Ein ärztliches Gedächtnisprotokoll ergänzt im Prozess die Behandlungsdokumentation. Sie wirkt vor allem dem Problem entgegen, durch den alltagsbedingten Durchlauf von Fällen wichtige Details zum konkreten streitgegenständlichen Zwischenfall wieder zu vergessen.
Das Tagebuch und seine Aufzeichnungen
Das Tagebuch dient der Dokumentation der Folgen der Schädigung. Im Prozess ist ein wichtiges Mittel der Darlegung der Schadensfolgen.
Es sollte daher zumindest enthalten:
- konkrete Bezeichnung und Beschreibung aller Tätigkeiten und Maßnahmen infolge der Schädigung,
- Protokollierung von körperlichen Folgen wie Schmerzen, Schwindel, Blutungen usw.,
- Dokumentation von Zeiten der Arbeitsunfähigkeit,
- Dokumentation von Folgebehandlungen, dem Zeitaufwand hierfür,
- Folgekosten und ‑aufwendungen.
Wann immer möglich, sollten zugleich Belege (gerade bei den Kosten!) und Atteste aufbewahrt werden. Darauf haben wir schon in unserem Artikel zu Hinweisen bei vermuteten Behandlungsfehlern aufmerksam gemacht.
Fazit: Gedächtnisprotokoll und Tagebuch sind wichtige Mittel der Darlegung
Gedächtnisprotokoll und Tagebuch sind hilfreiche Mittel, im Streitfall substantiierte Darlegungen vornehmen zu können und als Rechtsanwalt das ganze Bild des Zwischenfalls zu erhalten. Sie ersetzen zwar regelmäßig keine Beweismittel. Die vertiefte und nachvollziehbare Darlegung ist aber die erste Stufe der effektiven Prozessführung. Dies gilt für Patienten wie für Ärzte. In beiden Fällen können Gedächtnisprotokoll und Tagebuch wichtige Details vor dem Vergessen bewahren. Neben Arzthaftungssachen gelten die Empfehlungen gleichsam für alle schädigenden Ereignisse, so auch im Personenschadensrecht nach Verkehrsunfällen oder Körperverletzungen. Die konkrete Beweisführung mag hier anders als in der Arzthaftpflicht ablaufen; eine substantiierte Darlegung ist jedoch gleichsam erforderlich.