Problemkreis „Kind als Schaden“: Aktuelle Entscheidung zur (Fehl-)diagnose des Down-Syndroms (Trisomie 21)
In einer aktuellen Entscheidung hat das Oberlandesgericht München eine Klage aus dem Problemfeld „Kind als Schaden“ abgewiesen, in der Eltern Schmerzensgeld wegen eines nicht diagnostizierten Down-Syndroms (Trisomie 21) eingeklagt hatten. Über den Fall berichten gegenwärtig die Medien. Im Streit waren durchgeführte Ultraschalluntersuchungen. Die Eltern hätten das ungeborene Kind – so die Presseberichte – abtreiben lassen, wenn ihnen die Diagnose bekannt gewesen wäre. Es ging damit um eine Sachlage, die im weitesten Sinne dem Geburtsschadensrecht, jedenfalls aber dem Arzthaftungsrecht zuzurechnen ist. Im Kern geht es aber auch um die Abgrenzung eines schicksalhaften Verlaufs von einem Diagnosefehler; oder anders: Ist für den eingetretenen Zustand niemand oder ein Dritter – hier der Arzt – verantwortlich?
Problem: Kind als Schaden
Der Problemkreis „Kind als Schaden“ ist schon den meisten Jurastudenten bekannt, denn er wirft neben arzthaftungsrechtlichen Fragen auch verfassungsrechtliche Probleme auf, die nahtlos an die Medizinethik anknüpfen. Kann ein Kind tatsächlich als „Schaden“ betrachtet werden? In dem Zusammenhang wird auch das Problem des „wrongful life“ diskutiert: ein Mensch, der nie hätte geboren werden dürfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (Az. 2 BvF 2/90) verbietet es die Menschenwürde aus Art. 1 GG, einen Menschen als Schadensposition zu bestimmen. Das Grundgesetz erkennt das Existenzrecht eines jeden Menschen gleichermaßen an. Aus diesem Grund verbietet es sich, durch Urteil festzustellen, dass ein Mensch eigentlich nicht existieren dürfe.
Einen Ausweg findet die Rechtsprechung freilich darin, nicht das Kind als solches, sondern den notwendigen (vermehrten) Unterhalt als Schadensposition anzuerkennen.
Voraussetzung einer fehlerhaften ärztlichen Leistung
Um schadensrechtlich Erfolg zu haben, muss jedoch u.a. eine ärztliche Leistung festgestellt sein, die fehlerhaft war. Daran fehlte es im entschiedenen Fall, in dem die Diagnostik während der Schwangerschaft laut den Feststellungen des Gerichts wohl den Regeln der ärztlichen Kunst entsprach. Hierbei werden in der Regel über die sonographische Vermessung von Körpermaßen des Embryos bzw. Fötus Aussagen zur Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Trisomie 21 getroffen. Wie bei jeder medizinischen Diagnostik gibt Unsicherheiten und Unschärfen. Ebenso kommt den Ärzten stets ein gewisser Spielraum bei der Interpretation von Befunden zu. Was medizinisch vertretbar ist, ist eine Frage des Einzelfalls.
Neben der Ultraschalldiagnostik kommt ferner im Rahmen der Pränataldiagnostik auch die invasive Entnahme und Untersuchung von Körpermaterial (z.B. Fruchtwasser) in Betracht.
Medizinethische Problemlage bleibt bestehen
Dennoch bleibt die grundsätzliche medizinethische Problemlage bestehen: Kinder mit Down-Syndrom haben zwar kognitive und körperliche Nachteile gegenüber Nichterkrankten, können aber gleichwohl ein erfülltes und lebenswertes Leben führen (vgl. auch Zeit online vom 23.03.2015). Abtreibungen sind vor diesem Hintergrund nicht unumstritten. Zugleich sieht die gegenwärtige Rechtslage die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs in solchen Fällen vor. Immer wieder wird die Kritik laut, Menschen mit Down-Syndrom werden durch die frühere Diagnostik und die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs zusehends aus der Gesellschaft verschwinden. Im entschiedenen Fall meinten die Eltern, sie hätten ihr Kind abtreiben lassen. Gegenüber dem eigenen Nachwuchs ist dies eine harte Aussage. Letztlich stellt sich die ethische Fragestellung, inwiefern die moderne Medizin ein „Recht auf ein gesundes Kind“ bietet.
Vertrauensvolle Absprache mit Rechtsanwalt empfohlen
Geburtsschadensfälle sind von großer psychischer Belastung geprägt. Es bedarf daher einer seriösen Beratung durch Vertrauenspersonen, etwa eines Rechtsanwalts. In einer solchen Beratung muss neben der Sach- und Rechtslage auch geklärt werden, ob die Eltern die weitere Belastung eines möglicherweise unsicheren Rechtsstreits in Kauf nehmen möchten. Neben dem Down-Syndrom gibt es eine Vielzahl an Krankheitskonstellationen während der Schwangerschaft und der Geburt. Es ist daher stets eine Betrachtung des Einzelfalls erforderlich. Neben dem Krankheitsbild kommt hier die konkret vorgenommene ärztliche Tätigkeit und Beratung hinzu, die der rechtlichen Bewertung unterzogen werden muss. Hier ist es vorteilhaft, wenn der Rechtsanwalt – wie in unserem Fall – zugleich Arzt ist oder zumindest eine solche Expertise eingeholt werden kann. Nicht immer kristallisiert sich ein Arztfehler heraus. Es muss – wie im Fall des OLG München – dann die Schicksalhaftigkeit akzeptiert werden, um Frieden mit dem Geschehenen zu machen.
In jüngerer Vergangenheit hatte bereits das OLG Oldenburg das „Kind als Schaden“ in einer Konstellation abgelehnt, in der eine Schwangerschaft insgesamt nicht erkannt wurde und sich die Frau darauf berief, dass sie ansonsten im Rahmen der Fristenlösung einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen hätte (OLG Oldenburg, Beschluss vom 18.11.2014, 5 U 108/14; hierüber berichtet auch der law blog).