Besteht eine Behandlungspflicht für Ärzte?

Behandlungspflicht - Behandlungsverweigerung: Darf ein Arzt die Behandlung verweigern?Eine häu­fi­ge Fra­ge­stel­lung im Medi­zin­recht ist die Behand­lungs­pflicht. Müs­sen Ärz­te Pati­en­ten behan­deln? Dür­fen Sie die Behand­lung ableh­nen? Haben Pati­en­ten einen Anspruch auf die ärzt­li­che Behand­lung bei einem Medi­zi­ner ihrer Wahl? Wir schil­dern kurz die Rechtslage.

Grundsatz der Vertragsfreiheit

Unab­hän­gig davon, ob ein gesetz­lich ver­si­cher­ter Pati­ent oder ein Pri­vat­pa­ti­ent zum Arzt geht und eine medi­zi­ni­sche Behand­lung begehrt, ist der Behand­lungs­ver­trag die recht­li­che Grund­la­ge der medi­zi­ni­schen Behand­lung. Dies gilt im Übri­gen auch bei der Behand­lung von Flücht­lin­gen. Ver­trags­part­ner sind dabei der Arzt – in der Spra­che des BGB der „Behan­deln­de“ – und der Pati­ent. In Deutsch­land gilt für Ver­trags­schlüs­se grund­sätz­lich die Ver­trags­frei­heit: Die Ver­trags­part­ner kön­nen frei über den Abschluss an sich, den Inhalt und die Form des Ver­tra­ges bestim­men, wenn sich aus der Rechts­ord­nung nichts ande­res ergibt.

Dar­aus folgt, dass sich aus dem Ver­trags­recht des BGB für sich genom­men noch kei­ne Behand­lungs­pflicht her­lei­ten lässt. Dazu müss­te sich im bür­ger­li­chen Recht näm­lich ein Zwang zum Ver­trags­schluss (Kon­tra­hie­rungs­zwang) fin­den, den es jedoch hier nicht gibt.

Berufsrecht konstituiert keine grundsätzliche Behandlungspflicht

Das ärzt­li­che Berufs­recht ist für Medi­zi­ner bin­den­des Stan­des­recht, über das die Ärz­te­kam­mern wachen. Die jewei­li­gen Ärz­te­kam­mern erlas­sen für ihre Mit­glie­der Berufs­ord­nun­gen. Grund­la­ge hier­für – ohne selbst recht­lich bin­dend zu sein – ist die Mus­ter­be­rufs­ord­nung der Bun­des­ärz­te­kam­mer.

In § 7 Abs. 2 der Mus­ter­be­rufs­ord­nung heißt es zur Behandlungspflicht:

Ärz­tin­nen und Ärz­te ach­ten das Recht ihrer Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, die Ärz­tin oder den Arzt frei zu wählen
oder zu wech­seln. Ande­rer­seits sind – von Not­fäl­len oder beson­de­ren recht­li­chen Ver­pflich­tun­gen abgesehen –
auch Ärz­tin­nen und Ärz­te frei, eine Behand­lung abzulehnen. […]

Aus dem Berufs­recht folgt dem­nach kei­ne Behand­lungs­pflicht, son­dern es erkennt die grund­sätz­li­che Ver­trags­ab­schluss­frei­heit an. Eine Behand­lungs­pflicht besteht dem­nach nur in Not­fäl­len. In sol­chen Lagen ist der Arzt zudem bereits auf­grund der all­ge­mei­nen Hilfs­pflicht zur Not­fall­be­hand­lung ver­pflich­tet. Dies folgt aus dem Straf­recht (unter­las­se­ne Hil­fe­leis­tung), das nicht arzt­spe­zi­fisch gilt, son­dern jeden Bür­ger glei­cher­ma­ßen trifft. Das Berufs­recht lässt jedoch als Hin­ter­tür die „beson­de­ren recht­li­chen Ver­pflich­tun­gen“ offen. Hier­aus kön­nen sich tat­säch­lich Behand­lungs­pflich­ten ergeben.

Behandlungspflicht im Vertragsarztrecht

Die „beson­de­ren recht­li­chen Ver­pflich­tun­gen“ fol­gen in ers­ter Linie aus dem Ver­trag­arzt­recht, das frü­her als Kas­sen­arzt­recht bezeich­net wur­de. Es regelt die Rechts­be­zie­hun­gen von Ärz­ten, die an der ver­trags­ärzt­li­chen Ver­sor­gung teil­neh­men, also Pati­en­ten der Gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­run­gen auf deren Kos­ten behan­deln dürfen.

Nach § 95 Abs. 3 S. 1 SGB V sind Ver­trags­ärz­te nicht nur zur Teil­nah­me an der ver­trags­ärzt­li­chen Ver­sor­gung berech­tigt, son­dern auch ver­pflich­tet. Aus § 15 Abs. 1 SGB V folgt, dass die ärzt­li­che Leis­tung von den Ver­trags­ärz­ten als Sach­leis­tung der Gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung aus­ge­übt wird. Dadurch ändert sich aber nicht der Grund­satz, dass Ver­trags­part­ner des Behand­lungs­ver­tra­ges auch im Ver­trags­arzt­recht Pati­ent und Arzt, nicht Kran­ken­kas­se und Arzt sind.

Rege­lun­gen zur ver­trags­ärzt­li­chen Ver­sor­gung sind u.a. im Bun­des­man­tel­ver­trag-Ärz­te (BMV‑Ä) getrof­fen. Hier heißt es in § 13 Abs. 7:

Der Ver­trags­arzt ist berech­tigt, die Behand­lung eines Ver­si­cher­ten, der das 18. Lebens­jahr voll­endet hat, abzu­leh­nen, wenn die­ser nicht vor der Behand­lung die elek­tro­ni­sche Gesund­heits­kar­te vor­legt. Dies gilt nicht bei aku­ter Behand­lungs­be­dürf­tig­keit sowie für die nicht per­sön­li­che Inan­spruch­nah­me des Ver­trags­arz­tes durch den Ver­si­cher­ten. Der Ver­trags­arzt darf die Behand­lung eines Ver­si­cher­ten im Übri­gen nur in begrün­de­ten Fäl­len ableh­nen. Er ist berech­tigt, die Kran­ken­kas­se unter Mit­tei­lung der Grün­de zu informieren.

Neben der feh­len­den elek­tro­ni­schen Gesund­heits­kar­te sind als begrün­de­te Fäl­le eini­ge Fall­grup­pen denk­bar; aner­kannt sind in ers­ter Linie das feh­len­de Ver­trau­ens­ver­hält­nis zwi­schen Arzt und Pati­ent sowie die Über­las­tung durch eine Über­zahl von Pati­en­ten. Eine Behand­lungs­ver­wei­ge­rung mit der Begrün­dung der Über­las­tung erscheint jedoch oft frag­wür­dig, ins­be­son­de­re weil der Ver­sor­gungs­grad eines Gebie­tes von der Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung bestimmt wird, die zugleich auch Auf­sicht über die ver­trags­ärzt­li­chen Pflich­ten führt. Sieht sich ein Arzt also wegen zu vie­ler Pati­en­ten nicht in der Lage, wei­te­re Pati­en­ten auf­zu­neh­men, soll­te hier eine Klä­rung mit der Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung ange­strebt wer­den. Ein Pati­ent darf näm­lich grund­sätz­lich davon aus­ge­hen, dass eine Fach­arzt­ver­sor­gung in „sei­nem“ Ver­sor­gungs­ge­biet mög­lich ist.

Fazit: kein Kontrahierungszwang, aber grundsätzliche Behandlungspflicht im Vertragsarztrecht

Im Ergeb­nis besteht eine grund­sätz­li­che Behand­lungs­pflicht nur im Ver­trags­arzt­recht. Ärz­te, die an der ver­trags­ärzt­li­chen Ver­sor­gung teil­neh­men, kön­nen die Behand­lung jeden­falls nicht ohne Wei­te­res ver­wei­gern, son­dern benö­ti­gen hier­für einen recht­lich fun­dier­ten Grund. Dem Ver­trags­arzt, der die­se Rege­lun­gen miss­ach­tet und Pati­en­ten ohne einen sol­chen Grund nicht behan­delt (etwa weil „das Bud­get erschöpft“ sei), dro­hen dis­zi­pli­nar­recht­li­che Maß­nah­men sei­tens der Auf­sichts­be­hör­de. Ansonst gilt die Ver­trags­frei­heit auch in Hin­blick auf den Abschluss eines Behand­lungs­ver­tra­ges. Ins­be­son­de­re heißt Ver­pflich­tung zur Behand­lung im Rah­men des Ver­trags­arzt­rechts nicht, dass die­se sofort vor­ge­nom­men wer­den muss. Abhän­gig vom Krank­heits­bild muss der Zeit­punkt nur so gewählt sein, dass kei­ne Behand­lungs­ver­zö­ge­rung vor­liegt, die nicht mehr den Regeln der ärzt­li­chen Kunst ent­spricht. Nur in Not­fäl­len besteht stets eine Hilfs­pflicht, die sich bei Ärz­ten in der (jeden­falls zeit­wei­sen) Über­nah­me der Behand­lung äußern kann. Eine all­ge­mei­ne Behand­lungs­pflicht besteht nicht.

2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Lie­bes Kanzleiteam, 

    wir beglei­ten eini­ge Ukrai­ni­sche Fami­li­en … und sind kräf­te­mä­ßig an den Gren­zen … Gra­de sind wir auch von Ärz­ten recht frus­triert. Immer wie­der wei­gern die­se sich, die Ukrai­ni­schen Flücht­lin­ge zu behan­deln. Wir kön­nen zwar tele­fo­nisch Ter­mi­ne orga­ni­sie­ren, etc. aber nicht (ehren­amt­lich!) jeden Ter­min zum Über­set­zen begleiten. 

    Dar­um mei­ne Fra­ge: Wie kom­men denn Pati­en­ten (ohne Deutsch­kennt­nis­se) zu ihrem Recht auf Arzt­be­su­che, wenn sich die Pra­xen weigern? 

    Bei­spiel 1: Ein Bei­spiel war z.B. ein aku­ter Kran­ken­haus­be­such. Die Per­son wur­de dort zwar behan­delt, soll­te dann aber inner­halb der nächs­ten Tage unbe­dingt zu einem Fach­arzt vor Ort hin­kom­men. Die Fach­ärz­te wei­ger­ten sich. Auch mit dem Hin­weis, das wäre dann ja nicht „akut“.

    Bei­spiel 2: Eine ande­re Arzt­pra­xis woll­te die Pati­en­tin bei einem Kon­troll­ter­min wie­der weg­schi­cken. Sie dür­fe nicht ohne Über­set­zer kom­men. Wie gesagt, sind wir kräf­te­mä­ßig am Ende. Wir kön­nen Ter­mi­ne aus­ma­chen (und uns am Tele­fon übels­te Beschul­di­gun­gen anhö­ren, wie wir es wagen Ter­mi­ne aus­zu­ma­chen, ohne den Besu­chern auch gleich einen Dol­met­scher zu orga­ni­sie­ren). Wir ste­hen sogar tele­fo­nisch als Über­set­zung zur Ver­fü­gung. Den­noch wei­gern sich zahl­lo­se Arzt­pra­xen. Wir selbst kön­nen es ein­fach nicht leis­ten (vier noch klei­ne Kin­der, bei­de berufs­tä­tig), ken­nen kei­ne Domet­scher (sind über­zeugt, dass vie­les auch mit Hän­den, Füßen, Dol­met­scher-Apps und not­falls unse­rem tele­fo­ni­schen Über­set­zungs­an­ge­bot geht) und sind ein­fach nur fas­sungs­los, wie in unse­rem Sys­tem mit schwa­chen Men­schen umge­gan­gen wird. 

    Grund­sätz­lich gilt ja – wenn ich es rich­tig ver­ste­he – eine Ver­trags­frei­heit und der Arzt muss nicht jeden neh­men. Was ist aber, wenn die Ukrai­ner ein­fach kei­ne Ärz­te fin­den? Wie kom­men denn Pati­en­ten bei aller Ver­trags­frei­heit an eine ärzt­li­chen Ver­sor­gung? Gibt es irgend­wo eine Stel­le, die einem einen Arzt im erreich­ba­ren Umkreis benennt, der im Zwei­fels­fall behan­deln muss? 

    Ganz ehr­lich ist uns der Rechts­weg dafür auch zu auf­wän­dig und unse­re Kräf­te zu begrenzt … um nun gegen irgend­wel­che Pra­xen etwas zu unter­neh­men. Aber wie kön­nen wir denn „unse­re“ Fami­li­en unter­stüt­zen, damit sie zur ärzt­li­chen Ver­sor­gung kommen? 

    Vie­le Grüße,
    Sven

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    • Vie­len Dank für Ihren Kom­men­tar. In öffent­li­chen Kom­men­ta­ren ist es immer schwie­rig, eine indi­vi­du­el­le Bera­tung abzu­ge­ben. Wir hof­fen aber sehr, dass sich die Situa­ti­on für Sie und Ihre beglei­te­ten Fami­li­en nor­ma­li­siert hat.

      Vie­le Grüße!

      Antworten

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