Prozessökonomie: Klaglosstellung statt Anerkenntnis im Sozialgerichtsverfahren
Die Klaglosstellung stellt auch im Sozialgerichtsverfahren eine Möglichkeit der prozessökonomischen Verfahrensbeendigung dar. Zugleich lassen sich unnötige Präjudizien vermeiden. Gerade im Abrechnungsstreit zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen kann es im Interesse aller Beteiligten sein, Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu beenden. Denn in einigen Verfahren lohnt sich ein solcher Termin nicht mehr.
Wir erläutern die Vorgehensweise und zeigen aktuelle Probleme auf.
Ausgangspunkt: Prozessbeteiligter will nicht mehr am Prozess festhalten
Im Laufe eines Verfahrens kann es dazu kommen, dass ein Beteiligter nicht mehr am Verfahren festhalten möchte. Hierfür kann es unterschiedliche Gründe geben.
Will der Kläger das Verfahren beenden, steht ihm hierfür das Mittel der Rücknahme zur Verfügung. Die Klage verliert hierdurch ex tunc ihre Rechtshängigkeit. Die Gerichtsgebühren reduzieren sich von 3,0 auf 1,0. Auch die Kostenerstattung für die anwaltlich vertretene Gegenseite fällt geringer aus: Fand kein Termin oder eine Ersetzung etwa durch ein Telefonat mit Vergleichsgesprächen statt, fällt bei einer Rücknahme keine Terminsgebühr an.
Will der Beklagte nicht mehr am Verfahren festhalten, kann er nicht in gleicher Weise über den Prozess disponieren wie der Kläger. Ihm stehen andere Wege zur Verfügung:
Prozessbeendigung durch angenommenes Anerkenntnis
Eine Möglichkeit stellt das Anerkenntnis dar. Es handelt sich hierbei um eine einseitige prozessuale Erklärung des Beklagten gegenüber dem Gericht, dass der gegen ihn geltend gemachte Anspruch ganz oder teilweise begründet ist. Nimmt der Kläger es an, erledigt sich das Verfahren (§ 101 Abs. 2 SGG). Diese Vorgehensweise geht jedoch mit Nachteilen einher. Sie liefert der Gegenseite ein Argument für spätere Verfahren mit ähnlicher Sachlage („kleines Präjudiz“). Das Anerkenntnis bringt dem Kläger zudem einen vollstreckbaren Titel über die Forderung und verursacht nach dem Prozess ggf. weiteren Aufwand durch das Eintreiben der Forderung. Der Weg ist auch gebührenrechtlich schlechter als die Rücknahme, denn er führt zu einer fiktiven Terminsgebühr (vgl. Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 3 VV RVG).
Prozessbeendigung durch Herbeiführung eines erledigenden Ereignisses (sogenannte „Klaglosstellung“)
Eine anderen prozessual vorgesehene Möglichkeit ist die Herbeiführung eines erledigenden Ereignisses. Unter einer Erledigung in diesem Sinne versteht man ein Ereignis, das nach Klageerhebung dazu führt, dass eine vormals zulässige und/oder begründete Klage unzulässig und/oder unbegründet wird. Ein solches Ereignis der sogenannten Klaglosstellung ist typischerweise die Zahlung der Forderung an die Gegenseite verbunden mit der Bekräftigung des Klageabweisungsantrags gegenüber dem Gericht.
Das RVG sieht für den Fall einer bloßen Erledigung der Hauptsache nach unserem Normverständnis nur bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen eine Terminsgebühr vor. Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahr das RVG mitsamt Vergütungsverzeichnis angepasst. Nunmehr fällt nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG die fingierte Terminsgebühr auch dann an, wenn „eine Erledigung der Rechtssache im Sinne der Nummer 1002 eingetreten ist.“ Nr. 1002 VV RVG regelt jedoch:
„Die Gebühr entsteht, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Das Gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt.“
Nach unserer Auffassung ist damit auch weiterhin bei Leistungsklagen (z.B. um eine Forderung) keine fiktive Terminsgebühr gegeben, denn Nr. 1002 VV RVG bezieht sich seinem Wortlaut nach erkennbar nur auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen.
Warum der weitere Antrag auf Klageabweisung?
Da im Abrechnungsstreit die Regelungen des BGB über § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V entsprechend gelten, führt die Erfüllung durch Leistung auf die Forderung zu ihrem Erlöschen (§ 362 BGB). Damit wird die Klage bereits unzulässig, weil es ihr nun am Rechtsschutzbedürfnis fehlt; jedenfalls wird sie wegen der Erfüllungswirkung unbegründet. Die Klageforderung kann nicht mehr beansprucht werden. Daher müsste das Gericht im weiteren Fortgang die Klage abweisen. Der Kläger kann der Klageabweisung jedoch entgehen, indem er den Rechtsstreit für erledigt erklärt; der Beklagte schließt sich sodann an.
Vorteile der Erledigung durch Klaglosstellung gegenüber dem Anerkenntnis
Die Vorgehensweise drückt den Wunsch aus, sich über diesen Fall nicht weiter in diesem Verfahren streiten zu wollen und stellt kein erklärtes Zugeständnis dar, dass dem Kläger die Forderung auch zusteht. Die Klaglosstellung entspricht in ihrem Erklärungsgehalt damit in gewisser Weise sogar eher der Rücknahme durch den Kläger als einem Anerkenntnis. Dies wird dadurch erreicht, dass der Kläger eben das erhält, was er beansprucht hat.
Vorteilhaft ist zudem die Kostenfolge. Da das RVG nur bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen die fiktive Terminsgebühr für die übereinstimmende Erledigungserklärung vorsieht (siehe dazu oben), fällt diese Gebühr bei einer Zahlung der Forderung einer Leistungsklage nicht an. Diese Rechtsfolge wird nach unserer Erfahrung von den meisten Gerichten so gesehen, auch wenn es einzelne Abweichungen zu dieser Frage gibt (siehe unten).
Ebenso wie beim Anerkenntnis reduziert sich die Gerichtsgebühr auf 1,0 (vgl. Nr. 7111 Nr. 4 KV GKG).
Die Reduzierung der Gerichtsgebühr setzt nach dem Wortlaut des GKG zudem voraus, dass das Gericht nicht über die Kosten entscheidet. Hier bietet sich ein Kostengrundanerkenntnis des Beklagten an, das gebührenrechtlich nicht zur Terminsgebühr führt (vgl. überzeugend: BGH, Beschluss vom 25.9.2007, VI ZB 53/06).
Darüber hinaus hat die Vorgehensweise den Vorteil, dass der Streitgegenstand schnell beiseitige geschafft ist, ohne dass es eines weiteren Vollstreckungsaufwandes bedarf. Der Kläger erhält sofort, was er mit seiner Klage begehrt; der Zinslauf ist gestoppt. Weiterer Vollstreckung bedarf es nicht.
Problem: „Umdeutung“ der Klaglosstellung als Anerkenntnis
In der alltäglichen Rechtspraxis wird die eigentlich sehr eindeutige Rechtslage leider gelegentlich von einzelnen Gerichten nicht konsequent umgesetzt. Die entsprechenden Entscheidung fallen in ihrer Begründung oft wenig differenziert aus. Hierbei wird entweder ein konkludentes Anerkenntnis unterstellt oder die Regelung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 3 VV RVG analog angewendet. Beides überzeugt nicht.
Zum Zeitpunkt der Mitteilung der bereits erfolgten Zahlung gegenüber dem Gericht kann die Forderung nicht mehr anerkannt werden; sie ist bereits erfüllt. Eine analoge Anwendung der abschließend geregelten Ausnahmetatbestände für die Terminsgebühr ohne stattgefundenen Termin verbietet sich rechtsmethodisch.
Grundlegende Entscheidungen, die die Klaglosstellung als erledigendes Ereignis und das Anerkenntnis zutreffend differenzieren
Zunächst verweisen wir auf einige grundlegende Entscheidungen zu dieser Problemstellung, die die Rechtsfrage zutreffend entschieden haben (die Liste ist nicht abschließend):
- Bundesgerichtshof (grundlegend):
- BGH, Urteil vom 20.11.1980, VII ZR 49/80: Die Zahlung des Beklagten auf die Klageforderung ist nicht als Anerkenntnis umzudeuten, da es sich um verschiedene, prozessual rechtmäßige Wege handelt, die in ihrem Erklärungsgehalt und den Rechtsfolgen verschieden sind.
- Landessozialgerichte:
- Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 18.12.2015 – L 1 KR 54/15 (bei juris)
- Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 5.4.2017 – L 8 AL 73/15 B KO (ausführlich überzeugend argumentiert)
- Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 8.9.2019 – L 2 AS 328/18 B
- Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.11.2014 – L 32 AS 1145/14 B
- Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 18.12.2015 – L 1 KR 54/15 (bei juris)
- Bundessozialgericht:
- BSG, Urteil vom 17.9.2020 – B 4 AS 13/20 R: Das Bundessozialgericht bestätigt hier die Möglichkeit dieser Vorgehensweise. Zudem darf ein Anerkenntnis nicht einfach unterstellt werden, insbesondere dann, wenn er klärt wird, ein solches gerade nicht abzugeben. Zudem trifft es zu, dass in der Erklärung gegenüber dem Gericht, dass gezahlt wurde, nicht zugleich die Erklärung liegen kann, dass man die Forderung als existent anerkennt und insoweit ein angenommenes Anerkenntnis bzw. Anerkenntnisurteil als vollstreckbaren Titel herbeiführen will.
- BSG, Urteil vom 10.10.2017 – B 12 KR 3/16 R: Die Entscheidung bezieht sich auf LSG Hamburg, 18.12.2015, L 1 KR 54/15. Das BSG äußert als obiter dictum, dass „nicht von einer Erledigung des Rechtsstreits durch angenommenes Anerkenntnis nach § 101 Abs. 2 SGG auszugehen sein dürfte.“ Das BSG bestätigt damit die Rechtsauffassung des Landessozialgerichts.
Gleichsetzung von Klaglosstellung und Anerkenntnis folgt aus einer schwachen juristischen Argumentation
Aus welcher Motivation heraus einzelne Gerichte trotz überzeugender bestehender Rechtsprechung verschiedener Gerichtsbarkeiten die Klaglosstellung als Anerkenntnis „interpretieren“ und damit einen zulässigen Weg der prozessökonomischen und rationalen Weg der Beendigung eines Verfahrens abschneiden, erschließt sich nicht. Möglicherweise schwingt eine Billigkeitserwägung mit, weil man dem Klägervertreter gerne die Terminsgebühr zusprechen möchte. Angesichts der umgekehrten Möglichkeit für den Kläger, selbst bei „ausgeschriebenem“ Rechtsstreit die Klage „terminsgebührenfrei“ zurückzunehmen, erschließt sich eine solche Erwägung jedoch nicht.
Vielfach unzulässige analoge Anwendung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 4 VV RVG
Vielfach wird mit einer „vergleichbaren Interessenlage“ oder mit einem „bedingungslosen Unterwerfen unter die Forderung ohne Drehen und Wenden“ argumentiert. Allerdings erschöpft sich die Argumentation dann auch in der floskelhaften Verwendung dieser Argumente. Dass sie nicht überzeugend sind, liegt auf der Hand.
Eine „vergleichbare Interessenlage“ wäre eine Voraussetzung für eine Analogie. Der Gesetzgeber hat im RVG jedoch die übereinstimmende Erledigung der Hauptsache bei einer Leistungsklage ausdrücklich nicht mit einer zusätzlichen Terminsgebühr versehen, sondern nur (u.a.) das angenommene Anerkenntnis und die Erledigung bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen.
Dass hier eine planwidrige Regelungslücke als zweite Voraussetzung der Analogie vorliegt, um zur entsprechenden Anwendung der Vorschrift zu gelangen, ist nicht ersichtlich. Zudem verbieten sich methodisch bei Ausnahmevorschriften (wie der Terminsgebühr ohne Termin) die extensive Auslegung und erst recht die analoge Anwendung. Es ist davon ausgehen, dass der Gesetzgeber die Regelung bewusst abschließend auf die ausdrücklich geregelten Anwendungsfälle getroffen hat, zumal er Leistungsklagen in der RVG-Reform gerade nicht mit aufgenommen hat.
Auch das „Unterwerfen unter die Forderung ohne Drehen und Wenden“ führt im Ergebnis zu einer unzulässigen Analogie.
Überzeugende juristische Argumentation kommt ohne floskelhafte Begründungen aus
Eine gute juristische Argumentation, wie sie sich etwa in o.g. Entscheidungen des LSG Hamburg oder des Sächsischen LSG findet, kommt ohne derartige Floskeln aus:
- Ein Anerkenntnis ist eine Prozesserklärung gegenüber dem Gericht. Im Fall der Klaglosstellung wird gegenüber dem Gericht jedoch ausdrücklich die Klageabweisung begehrt. Gegenüber dem Gericht erklärt der Beklagte gar nicht, die Forderung anzuerkennen. Das kann er auch nicht sinnvollerweise erklären, denn die Forderung ist durch die Zahlung nicht mehr begründet. Erst die Erledigungserklärung des Klägers und der Anschluss des Beklagten führt zur prozessualen Erledigung. Würde der Prozess ohne eine solche Erklärung des Klägers weiterlaufen, wäre die Klage – wie vom Beklagten beantragt – abzuweisen, denn die Klage ist unzulässig und unbegründet (geworden).
- Ein Anerkenntnis führt zu einem vollstreckbaren Titel. Welchen Sinn soll dieser Titel ergeben, wenn die Forderung schon längst erfüllt und erloschen ist? Einem Beteiligten eine konkludente Prozesserklärung zu unterstellen, die ihn ggf. der doppelten Inanspruchnahme aussetzt, überzeugt in keiner Weise.
- Ferner überzeugt es nicht, dem Erklärenden den für ihn nachteiligen prozessualen Weg zu unterstellen. Auch die gebührenrechtliche Folge ist hierbei zu beachten. Das Gebühreninteresse der Gegenseite kann dabei für eine angeblich konludente Erklärung nicht von Bedeutung sein. Ein Prozessbeteiligter darf den für ihn günstigsten Weg wählen. Bei der Auslegung seines Verhaltens oder seiner Erklärungen kommt auf das Interesse der Gegenseite nicht an.
- Die Gebühren für die anwaltliche Vertretung folgen aus der prozessualen Siutation, nicht aber umgekehrt. Nicht das Gebühreninteresse bestimmt, wie eine Verfahrenshandlung zulasten des Erklärenden verstanden werden muss.
- Ebenso wie bei der Rücknahme ist der Prozess bei einer Klaglosstellung vollständig „erledigt“; ein Durchsetzen der Forderung ist nicht mehr erforderlich. In beiden Fällen muss nur noch der Kostenausgleich erfolgen. Bei einem Anerkenntnis sieht dies anders aus. Hier muss die Forderung ggf. noch eingefordert werden.
- Ein prozessual zulässiges Verhalten darf zudem nicht durch Uminterpretation unmöglich gemacht werden. Würde die Ansicht zutreffen, dass es sich bei einer Klaglosstellung der Sache nach um ein prozessuales Anerkenntnis handelt, wäre der höchstrichterlich gebilligte Weg nicht mehr möglich.
- Ferner ist in der Situation des Prozesses auch kein „Anerkenntnis“ geboten, denn die Klageforderung ist aus den o.g. Gründen nach einer Klaglosstellung gerade abzuweisen! Eine nicht mehr bestehende Forderung kann auch nicht (sinnvollerweise) anerkannt werden.
Die Erledigung durch Klaglosstellung anstelle der Abgabe eines Anerkenntnisses ist ein gangbarer Weg
Unserer Ansicht nach ist die Erledigung durch Klaglosstellung durch Zahlung der Hauptforderung ein gangbarer Weg, um das Verfahren kostengünstig zu beenden und zugleich ein „kleines Präjudiz“ zugunsten der Klägerin zu vermeiden. Viele Gerichte differenzieren Anerkenntnis und Erledigung durch Klaglosstellung zutreffend — leider jedoch nicht alle. In diesem Fall bleibt die Möglichkeit, die Kostenentscheidung im Rahmen des Erinnernungsverfahrens prüfen zu lassen. Die Gründe, warum manche Gerichte hier offenbar der Klägerseite die Terminsgebühr unbedingt zusprechen wollen, erschließen sich nicht. Die besseren juristischen Argumente sprechen dagegen.
Häufen sich solche Fälle, könnte man erwägen, dann eben bei den betroffenen Kammern die Termine mit mündlicher Verhandlung stattfinden zu lassen und dann erst anzuerkennen.
Als spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei vertreten wir u.a. Krankenkassen im Abrechnungsstreit und freuen uns, wenn Sie bei Anliegen Kontakt mit uns aufnehmen.